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Die Chronometermacher in Deutschland im 19. Jahrhundert

Manfred Lux  'Alte Uhren und moderne Zeitmessung' Dezember 1988

In den letzten Jahren hat die Zahl der Autoren zugenommen, die sich mit der Geschichte des Chronometers beschäftigen. Das grundlegende Werk von Rupert T. Gould ist bereits 1923 erschienen und 1960 neu aufgelegt worden. Es beschreibt die Geschichte der Navigation und die Entwicklung des Chronometers von seinen Anfängen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Bücher von Vaudry Mercer und Tony Mercer aus den 70-er Jahren geben einen guten Einblick in die Geschichte traditionsreicher englischer Familienbetriebe wie Arnold, Dent und Mercer. Das 1985 erschienene Buch von Marvin E. Whitney 'The Ship's Chronometer' geht auf die geschichtliche Entwicklung des Chronometers ein, behandelt aber auch gründlich die Wartung und Reparatur der Chronometer. Besonders gewürdigt wird die Entwicklung des Marinechronometers in den USA. Von den genannten Autoren wird auf deutsche Chronometermacher wenig eingegangen. Tony Mercer nennt im Anhang seiner Familien- und Firmengeschichte auch die Namen deutscher Abnehmer. Neben einigen biographischen Daten, Jahreszahlen und Mengen verkaufter Chronometer oder Rohwerke, die er darin veröffentlicht, findet man hier auch bei den Kunden die Unterscheidung in Chronometermacher und -händler. Bei Whitney sind mehrere deutsche Chronometer abgebildet und beschrieben. Er stellt fest. dass nur wenig über die Chronometerherstellung in Deutschland bekannt ist. Dies sei aber verständlich, da in zwei Kriegen die Chronometerindustrie in Deutschland vernichtet worden sei.

Zwei deutsche Bucherscheinungen. 'Glashütte und seine Uhren' von Kurt Herkner und 'Marine- und Taschenchronometer' von Hans von Bertele, sind für das Thema wichtige Informationsquellen. Herkner liefert eine gründliche Dokumentation der Glashütter Chronometermacher. Ab 1895, vor allem aber zu Beginn des 20. Jahrhunderts, werden die großartigen Leistungen der Glashütter Chronometermacher, wie Lange & Söhne, Jensen u. a., nachgewiesen. Im weiteren Verlauf dieses Jahrhunderts wird dann die Konzentration auf die Fabrikation von Chronometern bei Lange & Söhne in Glashütte deutlich.

Hans von Bertele hat erstmalig als Uhrenhistoriker für den deutschsprachigen Raum einen Gesamtüberblick über das Gebiet der 'Marine- und Taschenchronometer' gegeben. In einem ausführlichen Bild- und Textteil werden ca. 350 Chronometer dargestellt und beschrieben. Werkabbildungen und Beschreibungen der technischen Details machen die Faszination deutlich, die von diesen Meisterwerken der Uhrmacherkunst ausgehen. Zum erstenmal werden auch 70 Namen deutscher Chronometermacher aufgeführt, die den 'Annalen der Hydrographie und Maritimen Metereologie' entnommen sind. Von Bertele bedauert, dass dieser Bereich der historischen Zeitmesstechnik für den deutschen Raum noch nicht bearbeitet worden ist: 'Die wenigen Chronometer aus diesem umfangreichen Kreis, die bisher zugänglich waren, zeigen beachtliche Werkmannsarbeit, einfachen, klaren, ausgereiften Aufbau und haben sich nach den zugänglichen Prüfresultaten gut bewährt. Trotzdem ist bisher denselben, abgesehen von dcii weiteren Kreisen unbekannten. wertvollen Berichten in den 'Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie' und in der sonstigen deutschen technischen und horologischen Literatur sehr wenig Beachtung gewidmet worden, so dass darüber bis jetzt keine kritische Betrachtung und entsprechende Tradition entstehen konnte.'

In dieser Arbeit soll versucht werden, eine Erklärung für die Besonderheiten der deutschen Chronometerhersteller zu geben. Der Bearbeitungszeitraum schließt etwa mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges ab. Im Anhang ist eine Übersicht über alle Chronometer, die von der Deutschen Seewarte in Hamburg geprüft wurden, beigefügt. Aufgrund der Chronometerprüfungen können erste Aussagen und Bewertungen einzelner deutscher Chronometermacher gemacht werden. Es kann ab 1820 für J. H. Kessels in Altona und ab 1877/78 für zahlreiche Chronometermacher ein internationales Niveau bestätigt werden.

Der Bedarf an Chronometer auf deutschen Schiffen
Sehr viel später und bescheidener als in England entwickelte sich die deutsche Handelsschiffahrt. Nachdem die Anfänge einer Entwicklung des Seehandels am Ende des 18. Jahrhunderts durch die Kontinentalsperre eine Unterbrechung erfuhren. erholte sich der Seehandel nur langsam von diesen Einbußen. Noch 1835 lag die Handelsschifftonnage für den gesamten deutschen Nord- und Ostseeraum bei 280.000 NRT (Nettoregistertonnen). Im Vergleich dazu hatte die englische Handelsflotte eine Tonnage von 2.1 Mill. NRT und Frankreich 860.000 NRT. Diese Unterschiede sind auf die frühzeitige Förderung der Schifffahrt und der damit zusammenhängenden Förderung der Chronometerherstellung durch England und Frankreich zurückzuführen.

Erst nach der Gründung des Deutschen Reiches und dem Beginn der Wettbewerbsprüfungen von Chronometern durch die Deutsche Seewarte ist statistisches Material über die registrierten Schiffe in Deutschland und die mitgeführten Chronometer und deren Qualität verfügbar. Langsam aber stetig entwickelte sich der deutsche Seehandel, so dass Deutschland zum Beginn des 20. Jahrhunderts die zweitgrößte Handelsflotte der Welt besaß. Die deutschen Chronometerhersteller profitierten aber nicht in dem Maße von der Zunahme an Schiffen und Tonnage. So hatten 1877 insgesamt 1725 Segelschiffe und 132 Dampfschiffe einen Chronometer an Bord, dazu kamen 44 Schiffe der Kaiserlichen Marine. Während die Schiffe der Marine mit 2 und 3 Chronometern ausgerüstet waren, hatten die Handelsschiffe zuerst nur einen Chronometer an Bord. Von 1900 an nahm die Zahl der Segler ab, die Zahl der Dampfer nahm stark zu. Die Schiffe wurden größer, und die Gesamttonnage stieg. Da die Chronometer als wertvolle Navigationsinstrumente galten, und meist eine sehr viel längere Lebensdauer besaßen als die Schiffe, war der Bedarf an neuen Instrumenten nur gering. Mit Einschluss der Kriegsmarine waren 1877 immerhin 2050 Chronometer im Einsatz. Die Zahl stieg zwar 1880 auf 2100 Stück, fiel dann aber bis 1898 auf 1530, um dann bis 1903 auf knapp 1800 Stück anzusteigen.

Die Umstrukturierung der deutschen Handelsflotte von Segel- zu Dampfschiffen führte 1888 bis 1898 zu einem verringerten Bedarf an Chronometern und zu einer wirtschaftlichen Krise bei den deutschen Chronometermachern. Sie wurde nur zum Teil dadurch gemildert. dass die Kaiserliche Marine eine größere Zahl von Chronometern aus den Wettbewerbsprüfungen aufkaufte und durch Prämien auch finanzielle Anreize für die Hersteller bot. Man darf allerdings nicht davon ausgehen, dass der Gesamtbedarf an Chronometern auf deutschen Schiffen ausschließlich aus dem Inland gedeckt wurde. Bis 1870 wurden sämtliche deutschen Dampfer in England gebaut und ausgerüstet. Technischer Vorsprung, Preisvorteile sowie Kredite englischer Banken bestimmten die engen Beziehungen deutscher, vor allem Hamburger. Reeder zur britischen Schiffbauindustrie.

Darum war es von Anfang an das erklärte Ziel der Deutschen Seewarte, das deutsche Chronometer zu fördern und für eine Verbreitung auf deutschen Schiffen zu sorgen.

Bemühungen um das 'rein deutsche' Chronometer
Zu den Aufgaben. die der Deutschen Seewarte in Hamburg von der Kaiserlichen Admiralität zugewiesen worden waren. gehörte seit 1877 auch die Veranstaltung von jährlichen 'Konkurrenz-Prüfungen'. 'zu welchen die in Deutschland etablierten Chronometer-Fabrikanten ihre Chronometer... einsenden konnten. Als Maßstab und Anregung für die noch zurückgebliebene Chronometer-Fabrikation Deutschlands sollen vorläufig auch noch Chronometer von Schweizer Fabrikanten zur Konkurrenz zugelassen werden'. Die Zulassungsbedingungen sind im Laufe der Zeit wesentlich verschärft worden. Es war das erklärte Ziel, eine vom Ausland unabhängige Chronometerherstellung zu schaffen. Darum wurden immer mehr Zulieferteile aus dem Ausland ausgeschlossen.

Seit 1887 durften sich nur solche Uhrmacher bzw. Chronometermacher an den Prüfungen beteiligen. die im Gebiet des Deutschen Reiches ansässig und selbständig waren. Auf Grund der Beschlüsse der 3. Chronometerkonferenz im Jahre 1898 wurde festgelegt. was als 'deutsche Chronometer' gelten darf. Es wurde bestimmt, welche Teile noch aus dem Ausland bezogen werden durften, wie z. B. Zugfeder, Kette und Lagersteine. Außerdem wurde die Qualifikation der Chronometermacher. die Chronometer einlieferten, genauer beschrieben: Die Einlieferer mussten in der Lage sein. sich durch Zeugnisse von Uhrmacherschulen oder durch Lehrbriefe über ihre Fähigkeit zur Herstellung von Chronometern auszuweisen. Es wurden erheblich größere Geldmittel für Preise zur Verfügung gestellt.

Seit 1907 durften nur noch deutsche Zugfedern und Ketten eingebaut werden. Gelegentliche Federbrüche während des Prüfzeitraumes zeugten von Problemen, die es anfänglich bei deutschen Zugfedern gab. Um 1910 bis 1915 wurde schließlich auch gefordert, dass Zifferblätter und Zeiger nicht mehr aus dem Ausland bezogen werden durften. Über einen Inlandsbezug von Loch-und Decksteinen sind keine Forderungen aufgestellt worden.

Eine Sachverständigenkommission unter Mitwirkung der deutschen Chronometerhersteller gewährleistete, dass die Zulassungsbedingungen auch hinsichtlich einer guten handwerklich-technischen Ausführung eingehalten wurden. Nach beendeter Prüfung erfolgte eine Besprechung mit den Sachverständigen, Vertretern der Seewarte und den 'Chronometerfabrikanten', um eine weitere Verbesserung der Prüfungsergebnisse zu erreichen. So wurden gerade am Anfang der Seewartenprüfungen von den Chronometerherstellern zahlreiche neue Konstruktionen, hauptsächlich im Unruh-Spirale-System, erdacht und durch die für die Einsender kostenlose Prüftätigkeit in Konkurrenz mit den anderen Produkten erprobt. Aus den Protokollen der Chronometer-Wettbewerbsprüfungen lassen sich die technologischen Entwicklungen in der Chronometerherstellung in Deutschland erkennen.
 

Technische Entwicklungstendenzen auf Grund der Prüfungsergebnisse der Chronometer-Wettbewerbsprüfungen
System Unruh-Spirale
In der Chronometermacherei des 19. Jahrhunderts war die Beherrschung des sekundären Wärmefehlers ein großes Problem. Zwar war mit der Einführung der Kompensationsunruh das Wärmeverhalten der Spirale weitgehend ausgeglichen. Es blieb dennoch ein Restfehler, der gerade beim Gebrauch des Chronometers in extremen Temperaturen noch zu groß war. Dies Problem machte bereits Harrison zu schaffen, 'der nicht vermochte, diesen Mangel zu beheben. Es war in der Hauptsache der sekundäre Fehler, der sein sonst gutes Chronometer noch unvollkommen erscheinen ließ' (Giebel-Hellwig). Man kannte die Erscheinung, dass man den gleichen Gang beim Chronometer nur bei zwei Temperaturen erreichen konnte. Es galt bei den ersten Chronometermachern als 'unverbesserlicher Fehler', und man stand dem Phänomen hilflos gegenüber. Die ersten Hinweise, Beobachtungen und Deutungen erschienen zuerst 1833 im 'Nautical Magazine' von Edward John Dent. Nach ihm wird der Sekundärfehler auch Dentscher Fehler genannt.

Erste Bemühungen erstreckten sich auf eine geschickte Wahl der geometrischen Abmessungen des Unruhreifens und der Regulierung über die Verschiebung der Unruhgewichte. In der Regel wurden die Kompensationsgewichte so eingestellt, dass das Chronometer z. B. bei 0° C und 30° C die gleichen Gänge zeigte. Das Chronometer wird dann bei 15° C etwa 2 Sekunden gewinnen und bei extremen Temperaturen jenseits von 0° C und 30° C verlieren.

Andere Chronometermacher erfanden ausgeklügelte Hilfskompensationen zur Beseitigung des Sekundärfehlers. Zwischen 1877 und 1880 waren die zum Wettbewerb eingelieferten Chronometer etwa zur Hälfte mit einfacher Kompensationsunruh mit Bimetallreifen aus Stahl und Messing versehen. Die andere Hälfte besaß eine Hilfskompensation. Ab 1881 hatte die einfache Kompensationsunruh nur noch einen Anteil von 2-4%, die übrigen Chronometerunruhen hatten eine der vielen verschiedenartigen Hilfskompensationen. Diese lassen sich nach zwei Systemen unterscheiden: kontinuierlich wirkende Hilfskompensationen und punktuell wirkende Hilfskompensationen. Zum ersten System gehört die Zügelkompensation, die in Deutschland hauptsächlich von W. G. Ehrlich, Bremerhaven, angewendet wurde. Das andere System, die Hilfskompensation für Kälte oder Wärme (nach Poole), wurde häufig von W. Bröcking, Hamburg. benutzt. Besonders A. Kittel, Altona, versuchte immer wieder durch neue Konstruktionen von Hilfskompensationen die Güte seiner Chronometer zu verbessern.

Die Frage, ob die Verbesserung der Kompensation durch Hilfskompensation auf die Dauer zu halten ist, wurde von Praktikern unterschiedlich beurteilt. 1910 untersuchte Rottock 312 Chronometer der Kaiserlichen Marine unter der Fragestellung, welchen Einfluss die Art Kompensation auf die Güte der Chronometer habe. Die Chronometer waren damals 3 bis 29 Jahre im Einsatz, die meisten mehr als 10 Jahre alt.

Die Zusammenstellung (siehe Tabelle unten linke Seite) zeigt, dass die einfache Kompensation ohne Nickelstahlunruh eine hohe Gütestabilität besitzt. Etwas besser kann noch die Hilfskompensation für Wärme beurteilt werden. Allerdings lässt die Anzahl von 9 Instrumenten hier das Ergebnis etwas unsicher erscheinen. Dann aber hat die Zügelkompensation, hauptsächlich bei Ehrlich angewendet, eine erstaunlich hohe Stabilität. Bei den Chronometern. die in der Handelsmarine eingesetzt waren, dürften die Ergebnisse derjenigen mit Hilfskompensation noch schlechter gewesen sein. Die genaue Justierung der Unruhen mit Hilfskompensation war eine Kunst, die nur wenige Chronometermacher beherrschten. Oft waren es nur die Hersteller, die die Kompensation exakt justieren konnten. Darum konnte die von Guillaume erfundene Nickelstahlunruh, die die Hilfskompensation überflüssig machte, sich sehr schnell durchsetzen.

Ab 1903 verdrängte die Nickelstahlunruh alle diese Hilfsvorrichtungen zur Beseitigung des Sekundärfehlers, so dass ab 1911 nur noch diese Unruhen verwendet wurden. Die Nickelstahlunruhen wurden ursprünglich im fertigen Zustand aus der Schweiz bezogen. Nach 1920 wird der Stahl in Deutschland legiert und auch die Unruh in Deutschland gefertigt.

1899 wurden zuerst von Lidecke und dann von Sackmann Chronometer mit Palladiumspiralen zur Prüfung eingeliefert. Palladium ist ein platinähnliches Edelmetall. das nicht korrodiert. Im Zeitraum von 1903 bis 1906 war der Anteil von Palladiumspiralen gegenüber Stahlspiralen 42% zu 58%. Etwa gleichzeitig mit dem Aufkommen der Nickelstahlunruhen verdrängten dann die Stahlspiralen wieder die Palladiumspiralen. Ab 1912 wurden dann nur noch Nickelstahlunruhen mit Stahlspiralen verwendet.

Hemmung
Bei der Chronometerhemmung unterscheidet man die Chronometerhemmung mit Wippe und die Chronometerhemmung mit Feder. Bei beiden Systemen gibt es eine Anzahl Sonderausführungen. Im Laufe der Zeit hat sich die Federhemmung nach Earnshaw immer mehr durchgesetzt. Ab 1912 wurden nur noch Chronometer mit Federhemmung zur Seewartenprüfung nach Hamburg eingeschickt. Vorher gab es Hersteller, die fast ausschließlich die Wippenhemmung bevorzugten: Kittel in Altona, Jensen in Glashütte. M. Petersen, Altona, hatte eine eigene Entwicklung, die Wippenhemmung mit Ruhezylinder, konstruiert und in seinen Chronometer eingebaut. Wegen dieser Entwicklung gab es einen Prioritätsstreit mit J. H. Martens. Bis 1905 war der Anteil der Wippenhemmung in den Wettbewerbschronometern fast 20%.

Schnecke und Kette
Was für englische Marinechronometer schon immer galt, wurde erst 1908 für deutsche Chronometer zur Bedingung: Instrumente, die zur Wettbewerbsprüfung zugelassen wurden, sollten mit Schnecke und Kette ausgerüstet sein. Dass diese Entscheidung so spät getroffen wurde, hat seine Ursache wohl in der Tatsache. dass Adolf Kittel fast ausschließlich schneckenlose Chronometer gebaut hat. Diese Chronometer hatten immer vorzügliche Ergebnisse bei den Prüfungen gebracht. Chronometer mit verzahntem Federhaus haben in der Chronometergeschichte durchaus Tradition. So haben Breguet, Jürgensen und Kessels mit großem Erfolg schneckenlose Chronometer gebaut. Es scheint aber die Meinung von Saunier zu stimmen, dass 'unter den Händen des wirklichen Künstlers beide Arten gute Resultate ergeben können'.

Vergleichbarkeit deutscher Chronometer mit denen ausländischer Herkunft
Eine genaue Vergleichbarkeit deutscher Chronometer untereinander ist erst nach Einrichtung unabhängiger staatlicher Prüfungen an der Deutschen Seewarte in Hamburg von 1877/78 möglich.

Bei den frühen deutschen Chronometern ist man auf punktuelle Aussagen in der Uhrenliteratur angewiesen. Es bleibt unbestritten, dass an der Geschichte der Chronometererfindungen sowohl England als auch Frankreich große Anteile haben. Die enormen staatlichen Förderungen. vor allem in England, haben dazu geführt. dass die technologische Entwicklung des Marinechronometers bis zum Ende des lt Jahrhunderts nahezu abgeschlossen war. Die hohe Qualität englischer Chronometer hat in entscheidender Weise England zur führenden Seemacht werden lassen. Die Leistungen deutscher Chronometer im lt Jahrhundert sind vergleichsweise zweitrangig. Zwar hat es auch schon im 18. Jahrhundert einfallsreiche deutsche Chronometermacher gegeben; die wenigen erhaltenen Chronometer zeigen hohes technisches Können. über ihre Gangleistungen ist nur wenig bekannt. So wird ein Chronometer von Johann Georg Thiele aus Bremen erwähnt. das um 1777/78 in Greenwich von Maskelyne geprüft wurde, aber nur durchschnittliche Taschenuhrgangleistungen zeigte. Als deutsche Chronometermacher des 18. Jahrhunderts wären zu nennen: Jacob Auch, Christian Gutkaes, Johann Hinrich Seyffart.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist vor allem Johann Hinrich Kessels bekannt geworden. Kessels entstammt einer Künstlerfamilie aus Holland und kommt schon 1807 nach Altona, um hier bei einem Chronometermacher zu lernen. Er schreibt in großer Hochachtung von seinem Meister, der es verstünde. Chronometer zu verfertigen. die in einem ganzen Jahr keine 5 Minuten vor- oder nachgingen. - Nach Aufenthalten in Paris (Breguet). London und Kopenhagen machte er sich schließlich in Altona 1921 selbständig. Dort wirkte an der Altonaer Sternwarte der Astronom Schumacher. Herausgeber der 'Astronomischen Nachrichten'. In ihm fand Kessels einen Förderer. und es begann für beide eine fruchtbare Zeit der Zusammenarbeit. Kessels Pendeluhren und Chronometer waren auf den bedeutendsten Sternwarten Europas zu finden. In zahlreichen Veröffentlichungen der 'Astronomischen Nachrichten' sind genauere Angaben über die Leistungen seiner Uhren dokumentiert. Eine Zusammenfassung findet sich in einem Büchlein von Prof. P. A. Hansen, des Direktors der Seeberger Sternwarte in Gotha. Es trägt den umfangreichen Titel: 'Über die Chronometer, welche Herr Kessels, Ritter vom Danebrog. Mitglied der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften in Stockholm. verfertigt. aus den Notizen über ihren Gang von Bessel. Bohnenberger, Hansteen, Schumacher und Zahrtmann gezogen und mit Bemerkungen über die vorteilhafteste Art, sie zu Längenbestimmungen zu gebrauchen. Die Schrift ist 1836 in Altona erschienen.

Aus der Vielzahl der veröffentlichten Prüfungsergebnisse sei hier nur über die Prüfung des legendären Chronometers 1252 berichtet. In einem Zeitraum von 9 Jahren wurde der tägliche Gang beobachtet. Da der Chronometer zweimal in dieser Zeit überholt wurde. zerfällt der gesamte Zeitraum in 3 Perioden. Der größte vorkommende Gang in der ersten Periode von Mai 1823 bis Mai 1825 betrug 4.97 Sekunden. Für die 2. Periode vom Jahr 1825 bis Min 1828 ist der größte vorkommende Gang 3,55 Sekunden. Und für die 3. Periode von April 1828 bis November 1832 ist der größte vorkommende Gang 6,42 Sekunden. Diese erstaunlichen Ergebnisse sind zwar nicht aus systematischen Prüfungen gewonnen, sondern wurden aus laufenden Beobachtungen so wohl im Hause als auch auf Land- und Seereisen ermittelt. Die Temperaturen, denen das Chronometer ausgesetzt war, waren von der Jahreszeit und der Witterung abhängig. Als Vergleichsnormale wurden Pendeluhren der Altonaer Sternwarte, unterwegs gemachte astronomische Beobachtungen oder auswärtige Pendeluhren in Sternwarten benutzt. Während des Aufenthaltes in London wurde vom Observatorium in Greenwich der sehr gute Gang von Kessels' 1252 bestätigt. Die größte Gangänderung bei täglichen Beobachtungen an acht aufeinander folgenden Tagen war nur 0,2 Sekunden. Nachdem die Ergebnisse über die 9-jährigen Beobachtungen in den 'Astronomischen Nachrichten' veröffentlicht waren, fragt Schumacher, ob es irgendein Chronometer gäbe, das hinsichtlich der Zeitdauer und der Güte der Gangergebnisse mit diesem Chronometer vergleichbar sei.

Auch bei Vergleichen mit zeitgenössischen Chronometern, z. B. von Breguet. Jürgensen, Hardy und Pennington. schnitten die Kesselsschen Chronometer immer hervorragend ab. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wirkten in Deutschland die Nachfolger Kessels', Krille und Knoblich in Altona, Nieberg in Hamburg und Tiede in Berlin. Die Schiffe der Kaiserlichen Marine waren hauptsächlich mit deutschen Chronometern ausgestattet. Lieferanten für diese Instrumente waren neben den Teilnehmern der ersten Wettbewerbsprüfungen der Deutschen Seewarte wie Knoblich, Eppner, Bröcking u. a. auch Firmen, die unter den Namen der Wettbewerber nicht (mehr) zu finden sind: Tiede (mit sehr vielen Exemplaren), Cox, Frodsham, Heinrich, Mierendorf und Weichert. Vergleichbare Zahlen über Gangleistungen sind aber erst ab 1877/78 durch die Seewartenprüfungen verfügbar. Schon nach der ersten Prüfung zeigte es sich, dass die Mehrzahl der deutschen Chronometer mit denen vergleichbar ist, die in den letzten 3 Jahren in Greenwich geprüft wurden.

Die Vergleichbarkeit englischer und deutscher Chronometerprüfungen gilt allerdings nur für die ersten Prüfungen der Seewarte. Während die englischen Prüfverfahren weitgehend unverändert weitergeführt wurden, haben sich die deutschen Prüfverfahren und Prüfbedingungen verschärft. Die englischen Prüfungen bezogen sich nur auf den Kompensationsfehler, die deutschen Prüfungen wurden ausgedehnt auf Isochronismus-, Neigungs- und Kompensationsfehler. Ab 1887 wurden die geprüften Chronometer von der Seewarte in 5 Klassen eingeteilt. Wenn man nun nur den Anteil der Chronometer in der 1. Klasse verfolgt, so erhält man folgendes Ergebnis:

1887-1891 22% Chronometer in der 1. Klasse
1892-1896  20% Chronometer in der 1. Klasse
1897-1901  32% Chronometer in der 1. Klasse
1902-1906  47%' Chronometer in der 1. Klasse
1907-1911  68% Chronometer in der 1. Klasse
1912-1916  72% Chronometer in der 1 Klasse

Die Entwicklung zeigt deutlich die Steigerung im Anteil hochqualifizierter deutscher Chronometer. In dieser Zeit sind insgesamt 1873 Chronometer geprüft worden, einschließlich der beiden Sonderprüfungen P. W. I und R W. II (Palladiumwettbewerb) in den Jahren 1915 und 1916.

Die Tabelle zeigt, dass eine größere Anzahl von Chronometermachern nur ein- oder zweimal die Prüfungen beschickt hat. Das kann heißen, dass sie dieses als einziges Stück (etwa als Meisterstück) hergestellt haben. Oft sind aber darüber hinaus auch größere Stückzahlen bekannt. Grundsätzlich kann man aber wohl von hohen Prüfzahlen auf höhere Produktionszahlen schließen. Die Herstellungszahlen von Marinechronometern dürften in Deutschland bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts bei den folgenden Firmen bei maximal 30 bis 50 im Jahr gelegen haben: Bröcking, Ehrlich, Nieberg, Knoblich, Lange & Söhne und Chronometerwerke Hamburg. Andere Chronometermacher wie Kittel, Kutter und M. Petersen stellten nur bis zu fünf Exemplare pro Jahr her! Bei der regionalen Verteilung der Chronometerfirmen fällt auf, dass die Zentren der Handelsschiffahrt, der Hamburg-Altonaer Raum und die Orte um Bremen und Bremerhaven, als Niederlassungsorte bevorzugt wurden. Aus den Ostseehäfen Kiel und Rostock kommen vergleichsweise wenig Chronometer.

Im Binnenland sind neben Lange & Söhne in Glashütte hei Dresden noch weitere leistungsfähige Chronometerhersteller angesiedelt. Hier erklärt sich der Chronometerbau aus der technologischen Nähe zum hier ansässigen Präzisionsuhrenbau, für den der Name Glashütte steht. Interessanterweise sind auch im übrigen Binnenland Produzenten mit nennenswerten Herstellungszahlen zu finden, so Kurtz in Münster, Kutter in Stuttgart, Schlesicky in Frankfurt und Wiegand in Peine. Bei ihnen ist die Motivation, Chronometer herzustellen, nicht so ohne weiteres zu erklären. Im 20. Jh. vollzieht sich eine Konzentration der Chronometerfabrikation. Vor dem Zweiten Weltkrieg lieferten noch Lange & Söhne, Wempe Chronometerwerke Hamburg, Lidecke und Tietz ihre Erzeugnisse zur Chronometerprüfung ein. Von diesen Herstellern sind nur VEB Uhrenkombinat Glashütte und Wempe Chronometerwerke Hamburg als  Lieferanten von Marinechronometern in Deutschland weiterhin vorhanden.
 

Diese Arbeit wurde durch die Volkswagenstiftung am Deutschen Museum in München gefördert. Ich danke der Schulleitung und den Kollegen der Staatlichen Gewerbeschule Nachrichten, Feinwerk- und Zeitmesstechnik in Hamburg, die mir den Aufenthalt in München durch eine Vertretung ermöglicht haben.

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