Homepage
Militäruhren:
Flak-Uhren aus der Reichswehrzeit

H. J. Kummer, veröffentlicht in 'Klassik Uhren' 5/98

Bei meinen Recherchen zu diesem Artikel befragte ich eine Reihe von Flakspezialisten des 2. Weltkrieges. Ich war verwundert, daß keiner solche Uhren kannte. Erst im weiteren Verlauf erfuhr ich warum: Das System wurde bereits ab 1936/37 nicht mehr verwendet.

Schon im Krieg 1870/71 hatte man versucht, die Freiballone, mit denen die Franzosen trachteten, aus der belagerten Festung Paris unbesetztes Gebiet zu erreichen, abzuschießen. Hierzu wurden 3,7-cm-Kanonen von Krupp eingesetzt, die auf vierrädrigen Pferdewagen montiert waren. Das Vorhaben war wenig erfolgreich und blieb daher eine Episode.

Nachdem 1900 der erste Zeppelin aufstieg und 1903 die Gebrüder Wright den ersten Flug, zwei Jahre später ein Flugzeug die Distanz von 38,9 km zurücklegte, erging vom Preußischen Kriegsministerium an die 'Artillerie-Prüfungs-Kommission' (AKP) der Auftrag, zu prüfen, ob mit den vorhandenen Artilleriegeschützen eine wirksame Flugabwehr möglich sei. 1906 legte die AKP ein Gutachten vor, das die Entwicklung von Sondergeschützen empfahl. Erst 1910 wurden entsprechende Richtlinien für den Bau von 'Ballonabwehrkanonen' (BAK), wie diese Geschütze bis zum Anfang des Ersten Weltkrieges genannt wurden, erlassen. Die Entwicklung wurde vom Generalstab nicht allzu ernst genommen, so daß 1914 nur eine geringe Anzahl von BAK's, hauptsächlich mit dem Kaliber 7,7 cm, verfügbar waren. Da damals mit einer Flughöhe von max. 2000 m und einer Geschwindigkeit von 25 m/sec. gerechnet wurde, hielt man eine Geschoßanfangsgeschwindigkeit (Vo) von 465 m/sec. für ausreichend. Auch die Zieleinrichtungen waren mehr als dürftig: Als Richtgerät diente ein Rundblickfernrohr; ein Sonderaufsatz für eine Zielhöhe von ca. 1200 m ergab die notwendigen Aufsatzwinkel in Annäherungswerten. Seiten- und Höhenvorhalt wurden geschätzt.

Als Entfernungsmesser (EM) wurde zunächst der bei der Feldartillerie verwendete 'Kehrbildentfernungsmesser' eingesetzt. Die hier verwendete Basis von 1,25 m erwies sich für die Flugabwehr als zu gering, so daß sie auf 2 und gegen Kriegsende auf 4 m vergrößert wurde. Inzwischen hatte man auch auf den bei der Marine schon im Einsatz befindlichen 'Raumbildentfernungsmesser' umgestellt. Ab 1915 wurden die Geräte auch mit Höhenmessern versehen. Die Verwendung von Brennzündern gestattete keine exakte Einstellung des Geschoßexplosions-Zeitpunktes. Erst gegen Ende des Krieges wurden Zeitzünder eingeführt. Aus all dem erhellt, daß Improvisation am Kriegsanfang groß geschrieben wurde; andererseits fanden schon im Oktober 1914 Fliegerangriffe mittels 'Fliegerpfeilen' statt, die bei Mannschaften und Pferden empfindliche Schäden verursachten. Anfang 1916 wurden Fachleute, hauptsächlich Ingenieure der Geschützfertigung und der Optischen Industrie, beauftragt, ein Crash-Programm zur Verbesserung der Situation zu entwickeln. Schon Endes 1916 konnten neue, leistungsfähigere Flak-Geschütze der Truppe zur Verfügung gestellt werden.

Wesentlichen Anteil an der Verbesserung der Situation hatte die Optimierung der Zieleinrichtungen. Man versuchte vom direkten auf das indirekte Richten überzugehen.

Neben dem Entfernungs- und Höhenmessen wurden dazu aber von der Truppe Geräte gefordert, um die Auswanderung des Zieles und damit den Vorhalt für Seite, Höhe und Zünderstellung zu ermitteln. Neben der Zielentfernung, der Zielhöhe, Zielgeschwindigkeit und Flugrichtung war auch die Zeit für die Kommandoabgabe und den Ladeverzug, sowie die Geschoßflugzeit und die Tages- und besonderen Einflüsse auf die Flugbahn zu berücksichtigen. Bei Zeiss/Jena, hier war ab 1898 der Vater des späteren Großadmirals Dönitz als Leiter der Patentabteilung täti, wurde 1915/16 der Auswanderungsmesser 'Peres' (AM) entwickelt, der waagerechte, gradlinige und gleichförmige Zielbewegungen erfassen konnte. Er wurde im Laufe des Krieges mehrfach verbessert. (Daneben gab es noch andere Systeme, die nach den Namen ihrer Erfinder Jakob, Schönian und Pschorr benannt wurden; hierauf kann im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht eingegangen werden.) Zu dem System gehörte, neben dem AM mit eingebautem Höhenmesser, dem Entfernungsmesser (EM), eine 'Ballistische Stoppuhr'.

Zeiss ließ sich 1916 ein Reichsgebrauchsmuster auf eine solche Stoppuhr ausstellen (Siehe Kasten). Hierauf fußen die Flak-Uhren, die Gegenstand der vorliegenden Betrachtung sind. Das Zifferblatt der Uhren, es besteht aus einem bedrucktem Pappblatt, das auf einer Messingscheibe aufgeklebt ist, zeigt Linien gleicher Entfernung in Hektometern (HM), d.h. die angegebenen Zahlen sind mit 100 zu multiplizieren. Diese haben die Form von Kurven, da die Fluggeschwindigkeiten des Geschosses bei gleichen Entfernungen, aber wechselnden Geländewinkeln verschieden sind.

Ablauf der Messung: Der EM liefert die Entfernung, zu der an dem Höhenmesser die Flughöhe abgelesen wird. Die Messung der Vorhaltemaße erfolgt derart, daß während eines Bruchteils (1/3) der Geschoßflugzeit die Auswanderung des Zieles aus der Mitte der Netzteilung im Fernrohr des Gerätes ermittelt wird. Die Meßzeit wird durch die Stoppuhr je nach Höhe und Entfernung des Zieles begrenzt. Die gemessenen Werte der vom Ziel zurückgelegten Strecke geben die erforderliche Vorhaltung während der Geschoßflugzeit in Regler- und Seitenteilen. Die Bestimmung der Treffentfernung bzw. des erforderlichen Aufsatz- und Zeitbedarfs für die Zündereinstellung erfolgt durch Ablesung an den entsprechenden Skalen des AM. Bedienung der Stoppuhr: Der Soldat an der Stoppuhr setzt diese auf Zuruf des AM-Bedieners in Gang. Wenn die vorgegebene Ziel-Höhe erreicht ist, d.h. wenn der Zeiger sich über der entsprechenden Entfernungslinie des Zifferblattes befindet, wird die Uhr gestoppt und der Zeitpunkt dem Beobachter am AM mitgeteilt. Zur Vereinfachung der Ablesung wurde die Uhr mitunter in ein Metallgehäuse eingelegt, das am Rande einen Schieber hatte, mit dem die Zielentfernung eingestellt werden konnte. (Siehe Abb. 1 und 2) Abb. 3 zeigt das Zusammenspiel von zwei Flaksoldaten bei der Bedienung vom AM B2, einer Weiterentwicklung des Zeiss Gerätes aus dem 1. Weltkrieg, und der ballistischen Stoppuhr. Die Aufnahme entstand ca. 1936. Ein Charakteristikum dieses Systems war, daß für jeden Geschütztyp ein spezieller AM und eine entsprechende Stoppuhr benötigt wurde. Auf Abb. 4 sehen wir die Zifferblätter für drei verschiedene Stoppuhren. Der Zeigerumlauf ist bei allen Uhren gleich und beträgt 18 Sekunden.

Die zusätzlichen Angaben auf dem Zifferblatt erlauben eine Eingrenzung des Geschütztyps und das ungefähre Alter.

- 10,5cm-Flak: Die angegebene V 0 von 710m/sec. wurde 1938 auf 880 erhöht. Da schon Zeitzünder vorgesehen war, dürfte die Uhr für ein Geschütz aus der Reichswehrzeit stammen. Dieser Typ war ursprünglich für die Marine konzipiert worden.

- 8,8cm-Flak: Auch diese Uhr dürfte für ein Geschütz aus der Reichswehrzeit bestimmt gewesen sein. Die V 0 von 750m/sec. wurde später auf 82o bezw. 860 erhöht. Da noch kein Zeitzünder verwendet wurde, könnte das Geschütz gar noch aus dem 1. Weltkrieg stammen. 'Dopp.Z.o.Az' bedeutet: Doppelzünder ohne Aufschlagzünder Hintergrund :Wenn der damals verwendete Brennzünder - entweder weil das Geschoß sein Ziel verfehlte, oder weil ein technischer Fehler vorlag, die Granate nicht zur Explosion brachte, bestand die Gefahr, daß ein Schaden beim Aufschlag auf die Erde entstand. Daher wurden die Flak-Geschosse oft ohne Aufschlagzünder hergestellt. 'Sch.T.' bedeutet: Schießtabelle, die für jedes Geschütz verschieden war.

- 7,5cm-Flak: 'L/36' ist eine Kennziffer für die Rohrlänge. 'Kw. G.14' heißt: Das Geschütz wurde im Jahre 1914 eingeführt und war auf einer Selbstfahrlafette montiert. Mit einer Vo von 616 m/sec. dürfte sie auch in die Reichswehrzeit fallen. 1932 wurde die V0 auf 825 m/sec. erhöht. Ab 1933 wurde dieser Typ aus dem Flak-Programm genommen und die Geschütze ins Ausland verkauft, beispielsweise nach Spanien.

Verwendete Uhrwerke: Bei den ballistischen Stoppuhren von Zeiss wurden zwei Werke aus der Schweiz verwendet.

1. Ein 'Chronographe-compteur' von Leonidas auf Basis eines Unitas-Werkes. (Cal. C 45) Dieses Werk wurde in den 20 und 3Oer Jahren bevorzugt für militärische und für die Sportzeitmessung eingesetzt. Im vorliegenden Fall benötigte man jedoch lediglich die Funktion als Stoppuhr. Infolgedessen wurden einige Kadrakturteile weggelassen. Werkdurchmesser 41 mm, Kolbenzahn-Ankerhemmung. Um den Zeigerumlauf von 18 sec. zu erzielen brauchte man das Räderwerk nicht zu verändern: Man erreichte den gewünschten Effekt durch eine verkürzte, sehr kräftige Unruhespirale. Noch heute nach ca. 70 Jahren arbeitet die Uhr sehr genau. Durch Aufziehen wird die Uhr in Gang gesetzt und läuft zunächst leer. Durch Druck auf die Aufzugskrone wird der Stoppmechanismus ein- und ausgekoppelt. (siehe Abb. 5 und 6)

2. Modifiziertes Leonidas-Werk 121 auf Basis eines Venus-Kalibers. Es handelt sich um eine Stoppuhr mit Minutenzähler und anhaltbare Unruhe. Auf der Werkrückseite befindet sich ein in die Werkplatine integrierter Behälter für 'Ersatzteile'. In ihm wurde eine Unruhwelle mitgeliefert. Das findet man gelegentlich bei Dienstuhren. Auch diese Uhr macht in 18 Sekunden einen Umlauf. Da der Minutenzähler nicht gebraucht wird, fehlen die hierfür vorgesehenen Teile. Werkdurchmesser: 41 mm; Kolbenzahnankerhemmung monometallische Unruhe. (Abb. 7 und 8)

Alle Uhren sind in einfachen, stabilen Nickelgehäusen eingeschalt. (Abb. 9). Bis etwa 1936/37 wurde mit AM und ballistischer Stoppuhr gearbeitet; dann hatte das System ausgedient. Das ab 1926 in Entwicklung befindliche 'Kommandogerät 36' übernahm seine Aufgabe. An dessen Entwicklung waren Wissenschaftler der TU Charlottenburg und der Firma Zeiss beteiligt. Mit diesem Gerät wurde eine neue Qualität bezüglich der Zielgenauigkeit erreicht. 1940 gelangte eine verbesserte Version zur Truppe.
(Abbildungen 1, 2, 10: Sammlung Knirim)

Dank sagen möchte ich: G. Thorban, W. Sünkel/Museum für historische Wehrtechnik, K. Knirim, G. R. Lang, G. Niemeyer/Wehrgeschichtliches Museum, W. Wimmer/Zeiss-Archiv, H. Simon/Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung, Hptm. B. Hardtmann/Studiensammlung der Heeresflugabwehrschule Rendsburg.

Im 'Horological Journal' von April 1996 wurde unter der Überschrift 'Mystery Stop Watch' die deutsche Flak-Stoppuhr beschrieben, ohne jedoch die genaue Anwendungsweise zu kennen. Wie aus Abb. 10 ersichtlich, ist das Werk mit den Zeiss Uhren identisch, der Sekundenzeiger läuft jedoch in 12 s um. 'KAS Fl.' könnte als 'Küsten-Artillerie-Schule Flensburg' gedeutet werden. 'Ubts' und 'Tbts' waren Bezeichnungen für Fliegerabwehrkanonen, die auf U-Booten und Torpedo-Booten verwendet werden.

>
Zurück zum Seitenanfang